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Kaito und Aoko sind WAHRE GENIES!

Mathe und Anime … passt das zusammen? Nun, grundsätzlich würde man eher ein Nein vermuten, doch es gibt zahlreiche Beispiele, in denen sich interessante Synergien aus der japanischen Popkultur und mathematischen Fragestellungen ergeben. Ein Beispiel dafür ist der Anime „Sword Art Online: Ordinal Scale“, in dem das Konzept der Ordinalzahlen vorgestellt wurde.

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Wer sich wachen Auges durch den Anime „Magic Kaito“ schaut, der wird sich bestimmt gleich in der Pilotfolge „Rückkehr des Phantomdiebes“ die Frage gestellt haben, ob dort mathematisch alles mit rechten Dingen zugeht. Du wirst am Ende diese Artikels sehen, dass Kaito Kuroba und Aoko Nakamori wahre Genies sein müssen, wenn sie derart komplizierte Berechnungen quasi nebenbei im Kopf anstellen können, wofür wir im Durchschnitt vermutlich 15 Minuten benötigen.

Schauen wir uns aber zunächst einmal an, worum es überhaupt geht. In der ersten Episode des Anime streiten sich zu Beginn die beiden Oberschulenschüler Kaito Kuroba und Aoko Nakamori, da Kaito Aoko durch seine „magischen Tricks“ mal wieder in eine … naja, sagen wir … unangenehme Situation gebracht hat. Der Streit findet während des Mathematikunterrichtes statt und fällt ziemlich lautstark aus. Dies veranlasst die Lehrerin dazu, die beiden zwei Integrale an der Tafel lösen zu lassen. Dass sie dies scheinbar „nebenbei“ während ihres Streites bewerkstelligen konnten, hat mich dazu veranlasst, einmal zu überprüfen, ob ihre Ergebnisse überhaupt korrekt sind. Die Lehrerin hat diese Ergebnisse zwar bestätigt, doch ich bin trotzdem noch etwas skeptisch. Lass uns deshalb gemeinsam herausfinden, ob sich Aoko und Kaito tatsächlich erlauben können, den Mathematikunterricht auf diese Weise zu ignorieren.

Die Aufgabe von Kaito Kuroba

Kaitos Aufgabe besteht darin, dieses Integral zu lösen: $$4\cdot\int_{e^{\frac{\sqrt{1+xy^4}}{\sqrt{2}y}}}^{e^{\frac{\sqrt{1-xy^4}}{\sqrt{2}y}}}\frac{\log(t)}{t}\mathrm{d}t$$ Zumindest ist es das, was ich dem Tafelanschrieb entnehmen konnte.

Man könnte natürlich argumentieren, dass der Exponent beim \(y\) im Zähler der oberen Grenze \(2\) und nicht \(4\) ist, doch wir werden später noch einmal darauf zu sprechen kommen, weshalb ich hier mal wohlwollend von einer \(4\) ausgehe. Bei der unteren Grenze verhält sich das ähnlich. Hier kann man aber nur mit viel Phantasie überhaupt etwas erkennen. Integriert wird hier nach \(t\), \(x\) und \(y\) sind demnach nur Variablen, die eingesetzt werden. Laut Kaito soll hier \(2xy^2\) herauskommen.

Wir gehen einfach mal wohlwollend davon aus, dass wir die Beziehungen zwischen den Variablen \(x\) und \(y\) zu unseren Gunsten auslegen können und keine Fallunterscheidung vornehmen müssen. Wenn \(xy^4\) im Zähler der oberen Grenze nämlich negativ wäre, käme etwas Negatives unter der Wurzel heraus und man müsste im Komplexen weiterrechnen. Auch darf \(y\) z. B. nicht \(0\) sein, da man sonst durch \(0\) teilt. Wir nehmen an dieser Stelle an, dass die Autoren stillschweigend davon ausgegangen sind, dass ohne Fallunterscheidung im Reellen gerechnet werden darf (sicher ist das aber nicht; ebenso wenig wie der tatsächliche Wert des Exponenten).

Um in unserer Berechnung nicht ständig die Integrationsgrenzen mitschleifen zu müssen, betrachten wir zunächst nur die Funktion \(f(t)=\frac{\log(t)}{t}\) und bilden davon die Stammfunktion. Hierfür gibt es verschiedene Ansätze. Wir wählen an dieser Stelle die Integration durch Substitution (du kannst als kleine Übung aber auch gerne die partielle Integration verwenden). Als Substitution wählen wir \(u=\log(t)\). Zu lösen ist also das Integral $$ \int \frac{u}{t}\mathrm{d}t $$ Da wir nach \(t\) integrieren, wählen wir als Ansatz $$ \frac{\mathrm{d}u}{\mathrm{d}t}= \frac{1}{t} $$ Umgeformt ergibt sich entsprechend $$ \mathrm{d}t= t\mathrm{d}u $$ Ersetzen wir nun \(\mathrm{d}t\) durch \(t\mathrm{d}u\), so erhalten wir $$ \int \frac{u}{t}\cdot t\mathrm{d}u $$ und gekürzt $$ \int u\mathrm{d}u $$ Das zu integrieren ist denkbar einfach, da du nur den Exponenten um \(1\) erhöhen und ihn diesen in Form eines Kehrbuchs als Faktor dranmultiplizieren musst. Zum Schluss addierst du noch eine Konstante \(C\). $$ \int u\mathrm{d}u = \frac{1}{2}\cdot u^2+C $$ Die Konstante lassen wir aus Gründen der Übersichtlichkeit weg, da sie beim Anwenden des Hauptsatzes der Differential- und Integralrechnung später ohnehin wegfällt. Nun führst du eine Resubstitution durch und erhältst als Stammfunktion $$ \int u\mathrm{d}u = \frac{1}{2}\cdot \left(\log(t)\right)^2+C $$ So, jetzt müssen wir darauf noch den Hauptsatz Differential- und Integralrechnung mit den hochgradig komplex aussehenden Integralgrenzen anwenden. Letztendlich sind das aber nur einfache Termumformungen. Zuerst wird das Integral durch die Schreibweise des Hauptsatzes der Differential- und Integralrechnung mit unserer gefundenen Stammfunktion und den Integralgrenzen ersetzt. Die \(4\) außerhalb des Integrals können wir direkt mit verrechnen. Jetzt ziehen wird das Ergebnis nach dem Einsetzen der unteren Integralgrenze von dem Ergebnis nach dem Einsetzen der oberen Integralgrenze ab. Dir ist sicherlich bekannt, dass der Logarithmus von \(e\) hoch \(x\) zur Basis \(e\) einfach \(x\) ergibt. Das ist eine bekannte Umformungsregel, die du dir unbedingt merken solltest. Somit entfallen mit dem Logarithmus alle e’s in der Basis und nur noch die Exponenten bleiben übrig. Als nächstes wird quadriert. Beim Subtrahenden wird der Zähler zu \(1+xy^4\) und der Nenner zu \(2y^2\). Beim Minuenden wird der Zähler zu \(1-xy^4\) und der Nenner ebenfalls zu \(2y^2\). Da die beiden Nenner gleich sind, können wir die Brüche direkt voneinander subtrahieren und erhalten im Zähler \(1+xy^4-1–xy^4\), was einfach nur \(2xy^4\) ergibt. Kürzen wir das gegen den Nenner \(2y^2\), so erhältst du das von Kaito genannte Ergebnis \(2xy\) im Quadrat.

Wir geben Kaito und den Machern dieser Serie den Benefit of the doubt und gehen davon aus, dass die Einschränkungen bezüglich der Variablen \(x\) und \(y\) vorgegeben waren und dass in der Aufgabe tatsächlich die beiden Ypsilons im Zähler jeweils den Exponenten \(4\) besitzen. Es ist trotzdem beeindruckend, dass Kaito das mal eben nebenbei im Kopf gelöst hat, Ich bin war zwar gut in Mathe, doch dieses Kunststück hätte ich nicht hinbekommen. Damit soll natürlich Kaitos herausragende Intelligenz unterstrichen werden. Vielleicht war es aber auch eine Hausaufgabe, dann wäre diese Aktion weitaus weniger eindrucksvoll.

Als kleine Challenge könntest du die Aufgabenstellung einmal mit partieller Integration lösen. Das ist eine gute Übung für deine nächste Matheklausur 😉

Die Aufgabe von Aoko Nakamori

Kaito hat also schon einmal Recht. Doch wie sieht es mit Aoko aus? Kann auch sie mit ihren unglaublichen Mathe-Skills überzeugen? Die Aufgabenstellung ist hier wesentlich besser erkennbar und aus dem Bereich der Trigonometrie.

Beachte, dass hier nach y und nicht nach t integriert werden soll. \(2x\) ist wieder nur ein Faktor, der an das Integral multipliziert wird. Wie schon zuvor berechnen wir zuerst die Stammfunktion von \(f(y)=2cos(y)^2-1\) ohne die Integrationsgrenzen und wenden danach erst den Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung an. Bevor wir uns jedoch ins pure Rechenvergnügen stürzen, nehmen wir ein paar trigonometrische Umformungen vor, um uns das Integrieren etwas zu erleichtern.

Mit dem Additionstheorem \(\cos(x+y)=\cos(x)\cdot\cos(y)-\sin(x)\cdot\sin(y)\) (keine Sorge, ich kann mir die auch nicht merken und schlage sie nach, wenn ich sie brauche) kannst du \(\cos(2y)\) erst zu \(=\cos(y+y)\), dann zu \(\cos(y)\cdot\cos(y)-\sin(y)\cdot\sin(y)\) und schließlich zu \(cos^2(y)-\sin^2(y)\) umformen. Wir verwenden hier überall \(y\) statt \(x\), da die gesuchte Stammfunktion als Funktionsvariable \(y\) besitzt. Mit dem trigonometrischen Pythagoras \(\sin^2(y)+\cos^2(y)=1\) und der entsprechenden umgeformten Darstellung $$\sin^2(y)=1-\cos^2(y)$$ kannst du \(\sin^2(y)\) durch diesen Ausdruck ersetzen. Nach einer kleinen Umformung erhältst du für \(\cos(2y)\) also den Ausdruck \(2\cos^2(y)-1\). Formst du das nach \(2\cos^2(y)\) um, so erhältst du \(2\cos^2(y)=\cos(2y)+1\). \(2\cos^2(y)\) ist in der Funktion enthalten, von der wir die Stammfunktion berechnen wollen. Diesen Ausdruck ersetzen wir durch die rechte Seite unserer umgeformten Gleichung und erhalten \(\cos(2y)+1\). Perfekt, +1 und -1 hebt sich gegenseitig auf und wir müssen nur noch \(\cos(2y)\) integrieren. Das ist einfach \(\frac{1}{2}\cdot\sin(2y)\). Das kannst du überprüfen, indem du \(\frac{1}{2}\cdot\sin(2y)\) einmal ableitest. Da in diesem Fall erneut \(\cos(2y)\) herauskommt, wurde die Stammfunktion richtig berechnet. Natürlich müsste der Vollständigkeit wegen wieder eine reelle Konstante \(C\) ergänzt werden, doch da diese beim Anwenden des Hauptsatzes der Differential- und Integralrechnung ohnehin wieder wegfällt, ziehen wir sie nicht mit. So, nun wenden wir wieder einmal den Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung an (ich wette, dieser Begriff hängt dir mittlerweile zum Hals raus ;)). Daraus ergibt sich dann $$2x\cdot \left(\frac{1}{2}\cdot\sin\left(2\cdot\frac{\pi}{6}\right)-\frac{1}{2}\cdot\sin(2\cdot 0)\right)$$ \(\sin(2\cdot 0\) wird zu \(0\), da \(\sin(0)=0\) ist. \(\sin\left(2\cdot\frac{\pi}{6}\right)\) wird zu \(\frac{\sqrt{3}}{2}\). Das Ergebnis wird jetzt noch mit \(2x\) multipliziert. Der Faktor \(2\) in \(2x\) wird gegen den Nenner \(2\) in \(\frac{1}{2}\) gekürzt und man erhält als Endergebnis \(\frac{\sqrt{3}x}{2}\). Aoko nennt als Ergebnis allerdings „Wurzel aus 3 x hoch zwei“. Das stimmt nicht mit dem Ergebnis überein, das wir herausbekommen haben, doch WolframAlpha gibt uns Recht. Selbst wenn man statt \(\frac{\sqrt{3}x}{2}\) diesen Ausdruck \(\sqrt{3x^2}\) in Aokos Antwort reininterpretiert, stimmt das leider nicht. Wenn man sich die englische Synchronisation anschaut, dann stellt man fest, dass es sich um einen Übersetzungsfehler in der Serie handelt und Aoko tatsächlich das richtige Ergebnis herausbekommt. Aber seien wir mal ehrlich: Wer rechnet die Aufgaben aus einem Anime schon ernsthaft nach? 😉

Was hast du heute gelernt?

Okay, wir halten fest, dass Kaito seine Aufgabe richtig gelöst hat. Zumindest, wenn wir die Aufgabenstellung sehr wohlwollend auffassen und alle Unklarheiten zu seinen Gunsten auslegen. Aoko hat leider ein falsches Ergebnis herausbekommen, was in Anbetracht der Umstände, unter denen sie die Aufgabe gelöst hat, irgendwo auch nachvollziehbar ist. Ich hoffe, dir hat dieser Artikel gefallen. Wer weiß, vielleicht erwarten dich diese beiden Integrale in deiner nächsten Prüfung und dann weißt du ja, was zu tun ist. Übrigens: Du hast im Laufe dieses Artikels die folgenden Themen wiederholt:

  • die Additionstheoreme (bzw. einen Vertreter davon)
  • den Trigonometrischen Pythagoras \(\sin\left(x\right)^2+\cos\left(x\right)^2=1\)
  • den Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung
  • das Logarithmusgesetz \(\ln\left(e^x\right)=x\)
  • Integrationstechniken für Standard-Funktionen
  • die Integration durch Substitution und
  • Term- bzw. Gleichungsumformungen

Und das alles im Anime-Kontext, was will man mehr?

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