Die Schattenseiten der parasozialen Bindung
Doch die parasoziale Beziehung hat auch eine dunkle Seite, sowohl für die Idols als auch für ihre Fans. Der immense Druck, dem Idols ausgesetzt sind, ist eine der größten Herausforderungen. Um die Illusion der Nähe und Perfektion aufrechtzuerhalten, wird von Idols erwartet, stets freundlich, zugänglich und makellos zu sein. Sie müssen oft strenge Regeln befolgen, die ihr Privatleben und ihre Persönlichkeitsentfaltung einschränken, um das Bild des „reinen“ und „unschuldigen“ Idols zu wahren. Insbesondere weibliche Idols dürfen beispielsweise keine (öffentlichen) romantischen Beziehungen haben, da dies das Bild der exklusiven Verfügbarkeit für ihre Fans beschädigen könnte und somit Einnahmen durch diese verloren gehen könnten.
Diese Anforderungen können zu emotionalem Stress, Einsamkeit, Burnout und im schlimmsten Falle auch zum Suizid führen. Viele Idols stehen unter enormem Leistungsdruck und haben kaum eine Möglichkeit, ein normales Leben zu führen. Auch die Kontrolle durch Management-Agenturen ist oft streng, was dazu führt, dass Idols wenig Autonomie über ihr öffentliches und privates Leben haben.
Das neuste und traurigste Beispiel hierfür ist wohl der Tod der Sängerin und Sprecherin Kanda Sayaka (u.a. Yuna in »Sword Art Online The Movie: Ordinal Scale«), welche sich am 18. Dezember 2021 mit 35 Jahren mutmaßlich aus dem 14. Stock eines Hotels in Sapporo in den Tod stürzte.
Für die Fans kann die parasoziale Bindung ebenfalls problematisch sein. Da sie das Gefühl haben, eine persönliche Beziehung zu ihrem Idol zu haben, können einige Fans zu obsessivem Verhalten neigen. Stalker-Vorfälle und unerwünschte Grenzüberschreitungen sind leider keine Seltenheit in der japanischen Idol-Kultur. Diese Illusion von Nähe kann zudem dazu führen, dass sich Fans emotional zu sehr auf ihre Idols verlassen, was zu Einsamkeit und Enttäuschung führt, wenn diese unerreichbar bleiben oder ihren Erwartungen nicht entsprechen.
Erschreckende Beispiele ereigneten sich zum Beispiel im Jahr 2016 als Mayu Tomita, Teil der Besetzung von „Secret Girls“, einem Fernsehdrama über Mädchen, die ein Doppelleben als Schülerinnen und Idole führen, von dem „Fan“ Tomohiro Iwazaki 61 Mal niedergestochen wurde woraufhin das Idol ins Koma fiel. Seine grausame Begründung lautete: „Ich habe (Tomita) ein Geschenk geschickt, aber es kam zurück. Ich fragte sie nach dem Grund, aber sie gab eine ausweichende Antwort, also wurde ich wütend und stach mehrmals auf sie ein.“
Vor dem Vorfall hatte Tomita die Polizei mehrfach darüber informiert, dass sie über 400 Kommentare von Tomohiro Iwazaki erhalten hatte, darunter auch Morddrohungen, nachdem sie seinen Heiratsantrag abgelehnt hatte. Ihre Beschwerden hatten jedoch keine Konsequenzen. Sie verklagte daraufhin die Regierung wegen Fahrlässigkeit und die Abweisung ihres Falls auf 76 Millionen Yen Schadensersatz von der Regierung, ihrem ehemaligen Agenten und ihrem Angreifer. Iwazaki, der zum Zeitpunkt des Angriffs 27 Jahre alt war, wurde wegen versuchten Mordes angeklagt und im Februar 2017 zu 14,5 Jahren Gefängnis verurteilt. Mayu Tomita bezeichnete das Vorgehen der Polizei als rücksichtslos: „Ich werde meinen Kampf fortsetzen, in der Hoffnung, dass dieser Gerichtsprozess dazu beitragen wird, mögliche zukünftige Vorfälle zu verhindern und mögliche zukünftige Opfer zu retten.“
2019 entdeckte ein Stalker das japanische Idol Ena Matsuoka anhand der Spiegelung ihrer Augen in einem Social-Media-Post. Den Aufzeichnungen zufolge untersuchte er ihre Selfies, um herauszufinden, zu welcher U-Bahn-Station sie ging oder wie das Licht in ihr Zimmer fiel, um festzustellen, in welchem Stockwerk sie wohnte. Matsuoka, Teil der Idol-Gruppe „Tenshitsukinukeniyomi“, informierte ihre Fans regelmäßig über bevorstehende Ereignisse und ihr alltägliches Leben, wie es viele Idole und Einzelpersonen tun, aber ihre Selfies kosteten sie beinahe das Leben. Der Stalker, der von den Behörden als Hibiki Sato identifiziert wurde, gestand, Matsuoka geknebelt zu haben, bevor er sie in eine dunkle Ecke zerrte und sexuell missbrauchte.